Wie erkennt man ein „Krafttalent“ und welche Konsequenzen ergeben sich für das Training

von Peter Krinke (9-2008)

Den Gewichthebertrainern wird in Bezug auf talentiertem Nachwuchs empfohlen auf folgende antropometrische Merkmale zu achten: 

  • Gedrungene Statur,
  • große Muskelmasse,
  • starker Knochenbau,
  • großer Muskelquerschnitt
  • und, und, und ... 

Dann steht, wie anlässlich eines 1. Bundesligawettkampfes gesehen, bei der Vorstellung zwischen den oben „Gemerktmalten" ein kleiner, im Trainingsanzug schmächtig aussehender, eher als Jockey einzustufender Sportsmann auf der Gewichtheberbühne.

Als im Wettkampf dann schon einige von den Obengenannten, 10 bis 40 kg schwereren Athleten ihre Versuche beendet haben, betritt dieser etwa 1,57 m große und knapp 62 kg schwere , unscheinbar wirkende Bulgare Nikolay Peshalov die Heberbühne und beendet am Ende diesen Wettkampf mit 150 kg im Reißen und 175 kg im Stoßen.

Anzumerken ist noch, dass er sich mehr als ein Dutzend Jahre in der absoluten Weltspitze präsentieren konnte.

Was ist das Geheimnis solcher Ausnahmekönner? Warum trainieren vielleicht alle Gewichtheber (eines Landes) evtl. mit dem gleichen System und kommen trotzdem zu weit auseinander liegenden Ergebnissen?

An den oben dargestellten anatomischen Merkmalen kann es also nicht allein festzumachen sein. Das Geheimnis seiner Veranlagung, muss also an den Muskelfasern, an seinen Genen liegen.

 

Die Muskelfaserverteilung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Das Spektrum beträgt ungefähr von 10% weißen bis 90% roten Muskelfasern und umgekehrt. Nach Funktion und Struktur unterscheidet man folgende Fasertypen:

Langsame Fasern oder Typ -1- Fasern oder rote Fasern

Diese Fasern enthalten wenig Myofibrillen und viel Myoglobin. (Myoglobin ist der rote Blutfarbstoff, dieser ist für den Sauerstofftransport verantwortlich).

Die Fasern sind besonders für Ausdauerleistungen geeignet (Marathon).(siehe auch Der Zusammenhang zwischen Training ...). 

Schnelle Fasern oder Typ- 2- Fasern oder weiße Fasern

Diese Fasern enthalten viele Myofibrillen und wenig Myoglobin. Das sind Fasern mit schnellen Kontraktions-und Erschlaffungseigenschaften in Bewegungsmuskeln. Sie sind besonders für anaerobe (ohne Sauerstoff) Ausdauer und Schnellkraft tauglich. 

Bei den Typ -2-Fasern werden noch 3 weitere Untergruppen unterschieden:

Typ -2a entspricht einer Art Übergangsfaser zwischen Typ-1 und 2b: Hohe Kraft bei vergleichsweise hohem Ausdauerpotential.

Typ-2b entspricht der typischen Fast-twitch-fibre mit hoher Kraftentwicklung bei niedriger Ausdauerleistung.

Typ-2c sehr seltener undifferenzierter Fasertyp mit der Fähigkeit zur Veränderung seiner Charakteristika in Richtung ST-oder FT-Fasern. Typ 1 oder 2. Kommen zum richtigen Fasertyp, für Gewichtheben günstige (optimale) anatomische Merkmale, erhält man einen möglichen Olympiakandidaten. 

 

Dieses Phänomen des Unterschiedes von ausdauernden zu starken Muskelfasern wurde mir im Sommer 1982 durch einen Anlass in seiner Auswirkung schlagartig bewusst.

Mit meiner Frau machten wir in einem österreichischen Sporthotel (damals das Trainingszentrum der österreichischen Gewichtheber) einen Trainingsurlaub. Zeitgleich war der spätere Olympiasieger Karl-Heinz Radschinsky (Radi) mit seiner Familie anwesend und erarbeitete dort seine Grundlagen für die kommenden Weltmeisterschaften.

An einem trainingsfreien Sonntag fuhren wir zusammen nach Hallein um das dortige Salzbergwerk zu besichtigen. Dort ging es mit der Seilbahn hoch auf den Berg. Von da an war der Weg bis zum Eingang des Bergwerkes noch ca. 400 bis 500m, etwas bergauf, zu Fuß zurückzulegen.

Die Frauen mit den Kindern gingen voraus. Radi und ich liefen langsam hinterher. Nach etwa 100 Metern blieb Radi stehen. Ich dachte erst, er wollte sich die Bergwelt mit Ruhe ansehen. Wir gingen dann weiter, nach 70 bis 80 m blieb er wieder stehen. Jetzt dachte ich, er wird heute wohl etwas müde sein, unterhielten uns ein wenig, gingen dann weiter. Die Frauen winkten uns schon vom Bergwerkseingang, wo wir blieben?

Das gleiche Spiel mit Radi geschah ein Stück weiter wieder. Nur jetzt fing er an den Weg rückwärts hochzugehen. Etwas amüsiert fragte ich ihn, was der Spaß soll? Als Antwort bekam ich „Ich kann nicht, mir gehen die Beine zu"!

 

Radi war ja bekannt für seine enorme Grund- und Schnellkraftveranlagung. Er hatte auch damals über eine große Tageszeitung die schnellsten Fußballbundesliga-Spieler mit einer Wette zum Sprint über 40m aufgefordert. Leider hatte sich dazu keiner gemeldet (getraut). Über die Distanz einer vollen Stadionrunde, wäre er wahrscheinlich vorher zusammengebrochen haha...

 

Diese Diskrepanz, zwischen sehr schlechter Ausdauer und hoher Maximalkraft kam da offensichtlich voll zum Vorschein. Wenige Jahre später, als wir inzwischen zusammenarbeiteten, gelangen ihm, nach gegenüber von früher, stark reduziertem, seinem Muskelfasertyp angenähertem Training, drei Spannungskniebeugen vorne mit 230 kg. Eine höhere Leistung von dieser für das Gewichtheben so bedeutenden Kraftdisziplin ist mir von keinem anderen 75 bis 80 kg schweren Spitzengewichtheber bisher bekannt geworden. Leistungsmäßig konnte er sein enormes Kraftpotential, wegen nicht optimal ausgebildeter Technik für das Gewichtheben, die sich von seinen Anfängen her leider schon automatisiert hatte, nicht ganz ausschöpfen.

 

1992, im 39.Lebensjahr erzielte er allerdings noch mit 189 Relativpunkten in einem wichtigen Bundesligawettkampf eine für dieses Alter gewaltige Leistung.

Mit solchen Beispielen, vor allen Dingen an ihm, kam ich durch das Training mit einer Unmenge von unterschiedlichen Gewichthebern, Sportlern/innen, aus dem Kraftdreikampf, der Leichtathletik und anderen Sportarten zu unschätzbaren Erkenntnissen und auch dazu, die „Dinge" mehr im Zusammenhang zu sehen.

Die Sportwissenschaft bringt sehr interessante Beiträge, oft sind das aber Sequenzen aus Teilbereichen eines riesigen Feldes. Außerdem erscheinen mir viele der Studien zu kurz aufgelegt, wahrscheinlich nur jeweils über ein Semester und meistens mit der gleichen Klientel (Sportstudenten) durchgeführt.

In den Möglichkeiten der dem Sportlertyp anzupassender Trainingsmethoden steckt meiner Ansicht nach noch einiges an Potential, um zumindest in den Kraft- und Schnellkraftleistungen Fortschritte zu erzielen.

Ein Vergleich: In der Medizin wird oft z.B. der Oma, dem Jugendlichen, dem 50 kg schweren wie auch dem 100 kg schweren Erwachsenen die gleiche Menge an Tabletten z.B. bei Kopfschmerzen vom Apotheker empfohlen. Auf einer ähnlichen Philosophie scheint die Trainingsdosierung oftmals derzeit auch im Kraftsport zu beruhen.

 

Wie kann man als „Laie" feststellen ob ein Sportler/in einen hohen Anteil an weißen Muskelfasern hat?

 

Anfang der 70iger Jahre, Samstagabend, Aktuelles Sportstudio. Der Moderator lässt den Weltklasse-Superschwergewichtler Rudolf Mang mit ca. 135 kg Körpergewicht gegen den amtierenden Deutschen Meister im Hochsprung, Hein Boller, um die 70 kg Körpergewicht, im Standhochsprung (Abalakovsprung) antreten. Dabei stellt man sich an eine Wand und markiert den mit ausgestreckte Hand am höchsten erreichbaren Punkt. Anschließend springt man hoch und schlägt mit den vorher eingekreideten Fingern am höchsten Punkt wieder gegen die Wand. Diese Differenz wird dann gemessen. Das was niemand für möglich gehalten hätte traf ein. Der „Dicke" distanzierte den schlanken Hochsprungspezialisten eindeutig. An die genau erzielten Höhen habe ich keine exakte Erinnerung mehr.

 

Daran konnte man erkennen, dass der spätere Olympia Silbermedaillengewinner (mit 22 Jahren) und Weltrekordhalter Rudolf Mang 

einen sehr großen Anteil an weißen Muskelfasern besitzen musste.

Nur mit solchen Anlagen ist es auch möglich Weltrekorde in dieser Sportart aufzustellen.

 

Anfang der 90er Jahre – in der Presse ist zu lesen, dass der amtierende Bundespräsident Richard von Weizsäcker (ich glaube zu diesem Zeitpunkt schon 72 Jahre alt) zum x-ten mal sein Sportabzeichen erfolgreich absolviert hat. Seine Weite im Weitsprung aus dem Stand betrug dabei 2,20 m. Jugendliche Gewichtheberanfänger sollten schon beim Differenzsprung 

(Standhochsprung) etwa 60 cm überbieten können um später achtbare Leistungen im Gewichtheben zu erbringen. Beim Standweitsprung gibt der Bundespräsident wohl die Weite vor!! Bei diesem Sprung hatte ich schon Kandidaten, welche Gewichtheben betreiben wollten, die gerade mal auf 1,60 bis 1,80 m kamen und es dabei fertig brachten sich bei dieser Aktion, also während des Sprunges sich selber in den A.... zu treten. Da sollte man doch lieber den Mut haben und von der Ausbildung solcher Spezialisten zum Gewichtheber Abstand nehmen.

Hier noch mal einige der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale.

 

Slow Twitch
rote langsame Muskelfasern

FTO
Unterart der weißen Fasern

FT
schnelle weiße Fasern

Charakteristika

langsam

schnell

sehr schnell

Kraft

wenig

kräftig

sehr kräftig

Ermüdung

sehr langsam

langsam

sehr schnell

Seine eigene Genetik zu verstehen kann einem enorm helfen um sein Training zu optimieren. Menschen mit Höchstanteil von FT-Fasern können mit schwersten Gewichten bei geringem Umfang trainieren und ihre Kraft und Muskeln wachsen gewaltig. Andere Faserarten hingegen profitieren eher von mehr oder vielen Sätzen mit mehr oder hohen Wiederholungszahlen mit niedrigerem Gewicht. Beachten sollte man dabei die unterschiedlich Länge der Erholungszeiten nach schweren Belastungen , z.B. in den großen Muskelgruppen wie im Rücken und den Beinen. Da nimmt man beim ST = langsamen Fasertyp etwa 5, beim FTO etwa 6 und beim FT-Typ ca. 7 Tage an.

Heutzutage lehrt uns die Wissenschaft, dass wir nicht nur dem Muskel Aufmerksamkeit schenken müssen, sondern besonders den Nerven, welche den Muskel überhaupt zur Kontraktion bringen. Bei einer Querschnittlähmung, wo die Nerven blockiert oder durchtrennt sind, funktioniert der Muskel nicht mehr. 

 

Wenn man einem" FT Athleten" (fast twitch) ein Training mit vielen Sätzen und hoher Wiederholungszahl verordnet ,wird dieser, schon aufgrund seiner neuromuskulären Anlage nicht viel Nutzen daraus ziehen können. Auch weil er gar nicht nervlich in der Lage ist diese Muskeln so häufig optimal anzusteuern. Außerdem kann es ihn „konditionsmäßig" eher zermürben statt aufbauen. Umgekehrt gilt das dann auch für den „slow twitch" Athleten für die niedrige Wiederholungsanzahl bei hoher Intensität. Diese Vorgaben sollte man bei der Trainingsplanung unbedingt berücksichtigen.

 

Ungeeignet zur Maximalkraftsteigerung finde ich u.A., dass immer noch herumgeisternde Pyramidentraining. Z.B. wie den 1. Satz mit 16 Wiederholungen, den 2. mit 12, Wh. den 3. mit 8 Wh. den 4. mit 4 Wh. den 5. mit 1er Wh. und anschließend die ganze Litanei wieder abwärts .Anscheinend wollte man mit dieser Methode das ganze Spektrum der Faseraktivitäten damit abdecken. Man stelle sich mal zur besseren Verständnis einen Sprinter vor, der im Sprinttraining 1. x 2000 m läuft, dann 1500 m, 1000 m, 500 m und dann erst 100 m und damit erst zu seinem eigentlichen speziellen Zieltraining kommt. Bis dahin hat er allerdings sein Pulver verschossen um seine Schnelligkeit für die 100 m zu sterigern.

Mit solchen veralteten Methoden kann man auf hohem Niveau nicht wirklich stärker oder schneller werden.

 

Athleten die durch ihre Anlage bedingt nicht auf das ganz hohe und schnelle Faserniveau kommen, können aber mit Einwirkung eines optimalen 

Krafttrainings und der Adaption die Größe ihrer weißen Muskelfasern beeinflussen damit der Teil mit den kontraktilen Eigenschaften (Sarkomeren) innerhalb der Muskelzelle einen prozentual größeren Anteil gegenüber dem sarkoplasmatischem Teil vereinnahmt (siehe auch Der Zusammenhang 

des Trainings ...).

Besonderheiten der Trainingsbelastung bei hochtalentierten Gewichthebern

Die vorangegangenen Trainingsempfehlungen in "Trainingsmethoden zur Verbesserung der Zweikampfleistung" und "Optimales Krafttraining" sind

für eine breitere Schicht gut veranlagter Athleten gedacht. Bei den "Hochtalentierten" (mit höchster FT-Faserversion) sollte das Grundlagentraining (5er/6er Wiederholungen) wegen ihrer schlechteren Wiederholungstoleranz mit einer 5-10% niedrigerer Intensität durchgeführt werden. Die 1/3 Zugübungen sind um 10 -20% zu senken. Ebenfalls empfiehlt sich die Maximalversuche (90% und mehr) während der Leistungsausprägungsphase in den Einzelversuchen Reißen und Stoßen wegen der meist höheren Sensibilität der Genannten gegenüber den weniger gut Veranlagten zu reduzieren, damit deren Organismus (Nervensystem) diese Intensitäten erfolgreich abschließen kann.

 

Es besteht sonst die Gefahr eines "Burn-out-syndroms", verursacht durch zu häufiges Mobilisieren der Motivation zu hohen Leistungen über eine (zu)

lange Trainingsperiode. Das dazu benötigte oftmalige Abrufen von Adrenalin über die Nebennieren kann diese erschöpfen. Die Folge könnte sein, dass der Wettkämpfer nicht seine Bestform für den Wettkampf erlangt.