Hinweise zur Erlernung einer individuellen Technik im Reißen (Teil 1 vom 11.07.2014)

von Peter Krinke

Es gibt verschiedene Trainingsmethoden, die durchaus ihre Berechtigung haben Sportfreunden/innen die Technik des Gewichthebens beizubringen. Nach jahrzehntelanger Ausbildung von Gewichthebern und anderen Sportlern im Kraftsport habe ich ebenfalls einen persönlichen Stil entwickelt, der sich individuell nach dem Lernenden richtet. Durch jahrzehntelange Erfahrung habe ich gelernt einzuschätzen, mit welchen Vorgehensweisen man unterschiedlichen Personen in kurzer Zeit und an deren Möglichkeiten angepasst das Gewichtheben beibringen kann.

 

Im Folgenden schlage ich eine Möglichkeit mit einer logischen Lernabfolge vor, die eine Hilfe für Trainer und Sportler sein könnte, um die individuell passende Technik für das Reißen den Sportlern optimal beizubringen.

 

Das Erlernen des Reißens erfolgt nach individuellen anatomischen und anderen Besonderheiten des Athleten. Die optimale Griffbreite für das Reißen richtet sich nach dem Körperbau des Sportlers und dabei ganz besonders nach der Armlänge. Bei einem zu breiten Griff wird der Start - das Ausheben - schwerer. Für den finalen Zug ist eine kurze Armlänge bzw. der Zug mit einem breiten Griff  günstiger, weil die Hantel-Flugbahn im letzten Drittel kürzer verläuft. Die Belastungen auf Handgelenke und Schultern sind dafür stärker.

 

Mit einer engeren Griffbreite ist das Wegheben der Hantel (Startphase) leichter, da der Heber dann aus einer günstigeren Position vom Boden weg zieht. Dagegen verlängert sich die Hantel-Flugbahn im letzten Drittel und es besteht eher die Tendenz, dass im finalen Zug des Reißens die Schwerpunktlinien von Körper und Hantel zum Auseinanderdriften neigen. Dies ist dann eher ungünstig. Das Abfangen der Hantel in der tiefen Hocke mit der engeren Griffweite erfordert eine höhere Präzision wegen der dann etwas weiter auseinanderliegenden Schwerpunkte von Hantel und Hüfte, die auszubalancieren sind.

 

Das Erlernen einer individuell stabilen Technik ist schwieriger, wenn das Reißen nicht von vornherein auf einer soliden physischen Basis erlernt wird. Als Vorbereitung eignen sich Teilübungen wie Kniebeugen, Reißkniebeugen, kontrolliertes Hocke-Senken und spezielle Zugvarianten (siehe dazu auch Kapitel 13 „ Hinweise zur Erlernung...“ und  Kapitel  2  „Optimales Krafttraining). Dies bewirkt vorab eine Harmonisierung der benötigten Muskelkette für das Reißen.

(Hantel langsam und unter Spannung in den Nacken absenken)

Hockesenken: Zu Beginn die Knie leicht Beugen. Die Armstreckung geschieht im Verlauf der Übung gleichzeitig mit dem Beugen der Beine. Ziel ist eine stabile Senkbewegung und Hocke.

Die vmax (Beschleunigung) und die individuelle Hantel-Flugbahn sind die wichtigsten Komponenten in Verbindung mit einer individuellen Startstellung. Diese 3 Hauptkomponenten lassen sich in der Regel von Trainer und Sportler gut steuern. Alle anderen Parameter richten sich neben diesen 3 Vorgaben an den anatomischen Besonderheiten des Sportlers aus. Bei Kindern ergeben sich zusätzlich noch andere Umstände beim Erlernen der Hebetechnik, die gesondert zu beachten sind.

 

Werden die oben genannten Vorbereitungsübungen nach einem, dem einzelnen Sportler angemessenen Zeitraum gut bewältigt, geht es zur Findung und Einarbeitung der individuellen Startstellung.

 

Vorab ein Beispiel: Wenn von zwei Boxern der gleichen Gewichtsklasse und Körpergröße einer lange Arme hat und der andere kurze, werden beide einen unterschiedlichen Kampfstil anwenden. Wobei der Boxer mit den längeren Armen eher die günstigeren Voraussetzungen für die Sportart Boxen mitbringt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass der Boxer mit den kurzen Armen von vornherein der Verlierer ist.

 

Ähnliches gilt für das Gewichtheben, wobei der Sportler mit den kurzen Armen den Start zum Reißen eher ein wenig mit der Schulter vor der Stange beginnen sollte. Die größte Anzahl der Gewichtheber haben ausgeglichene Proportionen oder aber lange Arme. Diese stehen mit der Schulter direkt (parallel) zur Stange. Nach meinen Erfahrungen ist es für diese Sportler jedoch günstiger, ganz besonders bei denen mit langen Armen, mit der Schulter etwas hinter der Stange im Reißen zu starten.

 

Um die optimale, individuelle Startstellung herauszufinden empfehle ich folgendes Verfahren: Im Prinzip wird nur ein schmales (handbreites) Brett  von ca. 6 – 10 cm Höhe und passende kleine Blöcke zum Abstellen der Hantel benötigt (das etwa handbreite Brett ist in der Regel schon ausreichend).

Der Heber stellt sich aufrecht mit der leeren oder einer leichten Hantel auf das Brett. Danach wird die Hantel nah am Körper entlang bis zur Startstellung abgesenkt. Während des sehr langsamen Absenkens sollte der Heber sich immer,  bis hin zur Startposition, im stabilen Gleichgewicht befinden. Danach bewegt er sich langsam den gleichen Weg zum Ausgangspunkt an der Hüfte zurück.

 

Der Heber darf während dieser Aktion keine Ausgleichsbewegungen machen, um die Hantel so wie beschrieben körpernah zu führen. Anschließend sollte zur Kontrolle mit etwas höherer Last dieser Ablauf ab Hüfte abwärts zur Bestätigung wiederholt werden. Der Sportler soll diese Übung im Gleichgewichtsbereich durchführen können. Auch mit etwas Gewichtsbelastung darf er nicht das Gefühl bekommen gegen steuern zu müssen, um den Halt auf dem schmalen Brett nach vorne zu behalten.

 

Benutzt der Sportler eine für ihn ungünstige Startstellung - z.B. ein Langarmiger die standardisierte BVDG-Leitbild-Vorlage mit der Schulter 6 cm vor der Hantel - wird er mehr Kraft aufbringen müssen um die Schwerpunktlinien von Hantel und Körper beieinander und sich selbst auf dem Brett zu halten. Dieser Mehraufwand an Kraft, verursacht von der ungünstigen Startstellung, geht dann im Zug für das Reißen verloren. Außerdem wird in den meisten Fällen dadurch eine ungünstige Hantel-Flugbahn produziert und der Athlet kann seine individuelle Möglichkeit nicht voll ausschöpfen.







Diese 3 Positionen sind ungünstig, weil der Heber beim Start durch die Überlagerung der Schulter über die Stange in der Folge aus seiner KSP-Linie gezogen wird!

Beim Wegheben ist unbedingt auf eine individuell geeignete Fußstellung zu achten: Wenn die Hantel zu nah an den Unterschenkeln steht muss sie beim Hebevorgang (1. Zug) um die Knie herum gehoben werden oder die Knie müssen zurück genommen werden.

 

Die Hantel wird dann statt aus den Beinen zu früh mit dem Kreuz ausgehoben. In der Folge ist dann die wichtige Zugposition vor der maximalen Beschleunigung der Hantel sehr ungünstig.

Schon in den 60er-Jahren hatten Arbeitsmediziner die Produktionsarbeiter in der damaligen Höchst AG angewiesen, Lasten "aus den Beinen nah am Körper anzuheben". Über dieses Prinzip sollten die "Spezialisten" die Gewichtheber, eigentlich bescheid wissen!

 

In den meisten Fällen ist es ungünstig wenn die Fußspitzen beim Start (Wegheben) nach vorne zeigen. Stellt man die Fußspitzen etwas auseinander, kann die Hantel näher an der Schwerpunktlinie des Sportlers geführt werden. Das ist günstiger, da die Kraftverteilung für den Start ausgeglichener zwischen Beinen und Kreuz eingesetzt werden kann.

 

Der Start dient dazu im Verlauf des Zuges die Körperwinkel in eine gute Ausgangsposition für vmax, also zur maximalen Beschleunigung der Hantel, zu bringen. Diese ist letztendlich der Garant für eine individuelle Höchstleistung beim Reißen.


Die meisten Fotos und Videos in Kapitel 16 wurden von Sportfreund Dimitri Artimovich bereit gestellt und von Sportfreund Markus Gnauck bearbeitet!